Charlott – Montag, der 8. Juni
Ich liege wach, die Neonröhre im Flur wirft ein kaltes Band durchs Fenster, und mein Herz macht Geräusche wie ein alter Beatmungsapparat, unregelmäßig, nervös. Gedanken zerren an mir, wie Pfleger, die zu früh in den Raum kommen: ungebeten, routiniert. Welche Probleme löst die Ehe?
Die Frage zerschneidet mich wie eine Schere durch Papier. Sicherheit? Ja, so einen Namen kann man dafür haben: „Ehe“. Ein Band, das Behördendeutsch, Krankenkassen und Anspruch auf Pflegegeld ordnet. Ein offizieller Vorwand, dass jemand bleibt, wenn ich zusammenbreche. Aber Sicherheit schmeckt nach abgestandenem Tee und Zigarettenrauch, nicht nach Liebe.
Ich stehe auf, schleppe die Tippse Erika heran, die Tasten klacken scharf. Draußen ein Auto, das vorbeifährt, als würde es jemanden retten. Werner kommt selten, er ruft selten an, er ist immer auf Montage, er packt die Dinge technisch an, schraubt an Maschinen, nicht an mir. Die Ehe löst das Problem der Haushaltsorganisation: Rechnungen, Pflegedienst, Versicherungsfragen — er ist derjenige, den man anruft, wenn eine Unterschrift fehlt. Die Ehe ist ein Briefkasten, den man nicht selbst öffnen muss. Sie ist eine Waffe gegen die Neugier der Nachbarin, ein Schild gegen die Blicke, die sagen: „Was für eine kaputte Familie.“ Sie gibt mir einen Status, einen Satz auf Formularen: verheiratet. Dieser Satz glättet Fragen. Er verkauft mir Normalität für wenig Geld.
Und doch — die Ehe löst nicht die anderen Probleme. Die Einsamkeit bleibt, sie sitzt in meinem Nacken, wie wenn der Pflegedienst einschlafend die Maschine beobachtet und ich trotzdem wachliege. Die Ehe verdeckt Schuld, aber sie heilt sie nicht. Sie gibt mir jemanden, den ich beschimpfen kann, wenn die Welt brennt; sie gibt mir einen Sündenbock, wenn Fritz wieder Fieber hat. Sie gibt mir ein Gesicht, an das ich meine Scham hängen kann, damit sie nicht an mir zerrt. Aber das ist nur Projektion, kein Trost.
Werner ist eine Ressource und ein Spiegel, in dem ich sehe, wie kaputt ich wirke. Er ist nicht mein Retter, eher ein Zeuge, der ab und zu wegsieht.
Praktisch löst die Ehe Probleme: Papierkram, Ansprüche, Zuverlässigkeit in der Not. Psychologisch löst sie kaum etwas: sie bindet, sie versorgt, sie beschwert. Sie hält die Fassade zusammen, während innen alles überläuft. Sie kann ein Hafen sein, aber auch ein Kai, an dem man festgebunden wird, wenn das Schiff brennt. Manchmal denke ich, ich habe geheiratet, um ein Problem zu verpacken — damit niemand merkt, dass ich nicht mehr atme. Manchmal denke ich, die Ehe ist das letzte Experiment, um zu sehen, ob Bindung größer ist als Schuld und Müdigkeit.
Am Ende bleibt die Frage: Will ich, dass ein Vertrag meine Angst stopft, oder will ich, dass jemand mir wirklich zusieht, wenn ich weine — ohne zu retten, ohne zu reparieren? Vielleicht löst die Ehe nichts von dem, was mich wirklich bricht. Sie deckt nur das Leck ab, damit das Wasser nicht direkt auf die Straße läuft. Ich schreibe das auf, atme aus, und die Wörter schmecken nach Metall, nach Desinfektion, nach dem alten Geruch von Zuhause, den ich manchmal nicht mehr unterscheiden kann von dem, was Bruch ist.