Charlott 2 (j)

Ich ver­ste­he es ein­fach nicht. Die Hilde klin­gelt durch und redet was von, ich will jet­zt kom­men und dann, ein­fach Ruhe. Zwei Stun­den braucht sie bis zu mir, meint sie. Zwei Stun­den und ich habe den ersten Brief an sie fer­tig geschrieben. Es war gar nicht so ein­fach, die Gedanken zu ord­nen, schwieriger als beim See­len­doc. Bei dem kann ich ein­fach drauf los reden und dann wird sich von einem zum anderen The­ma gehangelt. Bei der Hilde, nee, da braucht es erst eine Ein­führung. Das musste ich spätestens ler­nen, als ich ihr klar machte, Fritz ist behin­dert, behut­sam.

Schon witzig, die anderen brauchen es behut­sam und uns Eltern hat man es ein­fach so hingek­nallt: Ein nor­male Entwick­lung ihres Kindes kön­nen sie vergessen. Dabei war eine Ther­a­peutin noch bess­er, die hat uns immer, jede Stunde, erk­lärt, was Fritz nicht kann. Wir star­rten nur noch auf das Kind, wie auf ein Auto mit Totalschaden.Behutsam und was schreibt man ein­er Fre­undin, wenn es nichts zu sagen gibt. Man beschreibt die Ober­fläche und dann die Fal­ten, was einen stört und woran man merkt, irgend etwas fließt durch die Fal­ten und man kann es nicht pack­en. Ist es das Leben, das, was ich ver­säumt habe oder ist es die Angst, wieder etwas zu ver­säu­men. Drei Stun­den sind jet­zt rum und immer noch ist kein Auto vorge­fahren. Denn Brief habe ich jet­zt ver­packt, mit Kuss, ver­ste­ht sich. Wird wohl mor­gen den Post­weg nehmen.

Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (i)

Du find­est den Weg nicht raus aus der Klinik, dein Vater schweigt. Klar, da drehen sich die Gedanken vor dem Abgrund und immer einen Schritt weit­er. Es ist halt nicht so, wie damals, als es nicht nach Hause ging, bloß weil ein Typ meinte bei der Krankenkasse, mit dem Pflege­di­enst, das geht nicht und ich per Tele­fon, per Brief erk­lären musste, der Pflege­di­enst ist notwendig. Ich kann nicht Tag und Nacht hoch schreck­en, wenn du, Fritz, abge­saugt wer­den musst, wenn die Beat­mung zickt oder der Mon­i­tor schre­it, und dann wurde der Typ immer ungeduldiger, wir sollen doch erst­mal die Klinik ver­lassen, dann klappt das schon mit der häus­lichen Unter­stützung. Wir sollen, ja natür­lich, Fritz kostet Geld, jeden Tag kostet er, ein Men­sch, Geld. Aber nee, wir blieben in der Klinik, denn diese Diskus­sion hat­ten wir schon mit dem Pflege­bett durch, ein Tick früher.
Erst hieß es, mündlich, es sei genehmigt und wir stimmten zu nach Hause zu gehen und dann wurde es ewig nicht geliefert. Die Fir­ma meinte, die Kasse hat die Kostenüber­nahme noch nicht bestätigt und bei der Kasse hieß: Ja wie, Pflege­bett genehmigt? Sie wüssten von nichts, es liegt beim medi­zinis­chen Dienst. Alles klar, dachte ich nur und fragte, da ich meinen Bub zuhause nicht mehr ordentlich pfle­gen kon­nte wegen Rück­en­schmerzen, ob ich dann heute meinen Bub erst­mal wieder in die Klinik ein­liefern lassen muss. Das andere Ende der Leitung ver­s­tummte. Argu­mente, wenn man vorher wüsste, welchen Argu­mente die richti­gen sind, wären wir sicher­lich ins­ge­samt ein Stück weit­er.
Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (h)

Und nicht nur einen Kuss werde ich ihm geben.
Wie damals, als das Tra­cheostoma, der Schnitt in der Luftröhre, für die Kanüle kam. Die Trä­nen fie­len, ich wusste keinen Weg, sie zu hin­dern, nicht wo sie her kamen. Nur die Stim­men der Ärzte zogen sich durch meinen Kopf, lange könne er nicht mehr mit dem Tubus beat­met wer­den, wenn er nicht bald wegkommt von der Mas­chine, dann .… Ich sah schon den Nebel auf­steigen, unseren Weg an einem Fluss enden, ein Pfad zieht seine Spur am Wass­er ent­lang, der andere in das Wass­er hinein. Die Fähre, die Fahrzeit unbekan­nt. Ich stand an Fritz seinem Bett, die Mas­chine sur­rten und immer, immer wieder musste ich raus aus dem Zim­mer, raus von der Sta­tion, schloss mich ein in die Toi­lette, um die Trä­nen fall­en zu lassen. Fritz, er ist doch noch ein Kind, dem Tod darf er nicht gehören. Die Entschei­dung, was blieb, wovon alle dort ihre Wörter hin ban­den: Tra­cheotomie, das Kind braucht eine Kanüle. Er bekam sie.
Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (g)

Sie brauchen sich gar nicht so darin rein­hän­gen. Es bringt eh nichts, hat­te mir die Frau am Tele­fon gesagt. Beratung nen­nt sich das, Beratung für das behin­derte Kind. Ich glaub, da hätte ich mir die Mühe sparen sollen. Suchst dir die Num­mern zusam­men, ruf­st einen Vere­in an den näch­sten an und willst es wis­sen, ob das wirk­lich mit dem Ausweis richtig ist: Fritz ist nur noch achtzig Prozent schw­er behin­dert, als ich dies las, da machte es nur klack im Kopf, die Frage tickt sich durch den Schädel, der Kom­men­tar: Geht’s noch? Read more

Charlott 2 (f)

An manchen Tagen kön­nte man meinen, der Bub, er kann doch lachen, er habe es gel­ernt, das Lächeln mit seinen vier Jahren. Wenn er so da liegt, seine blind­en Augen sich ruhig bewe­gen, als könne er die Welt abtas­ten, seine Atmung in ruhi­gen Schrit­ten den Brustko­rb heben, wieder fall­en lassen. Ach Fritz, wenn sich die Sonne durch die Bäume schieb, ein Rascheln der Blät­ter eine Melodie spie­len. Wenn dann an solchen Tagen keine Post den Briefkas­ten füllt, kein Ärg­er­nis über die näch­ste Kamp­fansage vom Amt in den Blick kommt. Ein Lächeln, ein kleines Lächeln, nur für mich sicht­bar, nur für mich.
Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (e)

Fritz, manch ein­er fragt sich sicher­lich, warum mein Bub ein­fach diesen Namen bekom­men hat. Aber es tat sich, es fühlte sich ein­fach so an. Als ich den Bub das erste mal sah, ihn in den Arm nahm, es kon­nte nur Fritz sein. Wern­er, dem war es egal. Den Ärg­er, wenn der Bub nicht mit seinen Namen klar käme, habe ich dann zu ertra­gen, meinte er. Na, nicht ernst. Doch ist dies jet­zt auch egal, denn Ärg­er wird es nie geben. Fritz, ja er wird nie begreifen, was sein Namen ist. Dieses Wort ist für ihn nur das, was er in seinem Leben am meis­ten gehört hat und noch hören wird, neben den unzäh­li­gen Küssen von mir auf seinen Wan­gen, aber ver­ste­hen. Das bleibt ein kleines Frageze­ichen, ganz klein.
Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (d)

Kein Plan, schon die ganze let­zte Woche nicht. Es star­ren einen nur die Augen davon. Nee, nicht davon, die star­ren ein­fach wohin und ich kann nichts erken­nen in diesem Augen­blick. Ich solle mich nicht so treiben lassen, meinte mein Ther­a­peut. Treiben lassen, wenn es so wäre, dann wäre mein Blick gerichtet, nach vorne, dort wo es mal hin gehen kön­nte. Doch wo soll es denn hinge­hen, wohin mit Fritz. Immer, immer wieder set­zt sich die Angst auf die Stüh­le, wo ich mich ger­ade hin­set­zen möchte, legt sich auf das Bett, neben mir. Jed­erzeit kann der Bub ster­ben, wie let­ztes Jahr, am Anfang war es ein Infekt und zwei Tage später hieß es Beat­mung 24 Stun­den, Klinik, Infu­sion. Inten­sivs­ta­tion und jed­er einzel­ner Mon­i­tor, jede Pumpe hat­te zu tun, für Fritz, mit Fritz. Die Lunge ist weiß, mal wieder. Fritz war weit weg, beruhigt durch Chemie, die langsam, tröpfchen­weise in die Vene floss. Wenn er es schaf­fen will, dann muss er zur Ruhe find­en, meinte eine Ärztin. Ich über­gab ihr mein ja zu allem, mit dem Blick nach hause. Wir kamen wieder nach. Doch die Angst, die blieb nicht in der Klinik, die kam wieder mit.
Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 ©

Schöne Tage, natür­lich gibt es auch schöne Tage, auch wenn sich das Leben als eine einzige Anstren­gung ent­pup­pt. Meine Mut­ter würde gle­ich wieder sagen: Kind, was hast du erwartet. Nichts, Mut­ter, nichts. Doch ich habe etwas erwartet. Ist das zuviel? Behin­derung gehöre zum Leben stand let­ztens in der Lokalen. Fritz ist behin­dert und Fritz gehört zu meinen Leben. Klar und Punkt. Warum auch nicht und würde ich ihn son­st die ganze Zeit küssen wollen, neben ihm Kuscheln, ihn bei Unruhe auf den Schoß hal­ten wollen, auch wenn mir dabei die Ner­ven glühen und wenn ich dann dabei noch die Sch­neck­en zur Dis­co trot­ten sehe. Kein Träne, kein Lächeln. Fritz hat seinen Platz auf meinem Arm.

Fritz hier, Fritz dort und ich muss immer in sein­er Nähe sein. Ich könne auch mal wegge­hen, hat­te mir mal eine Schwest­er vom Pflege­di­enst untergeschoben, ganz dezent. Wohin? Wohin mit 35. In die Sin­gle­bar, warten bis bei einem der Her­ren sich was in der Hose regt.
Doch es ist etwas ver­loren gegan­gen. Mit jed­er Behin­derung geht etwas ver­loren, unwider­ru­flich und nun der Ersatz, ihn zu find­en, zu erken­nen. Ach, was denke ich schon wieder. Die schöne Seite, der Wern­er. Ein zweites Kind, davon hat­te er let­ztens gere­det und hat sich ganz fest an mich gedrückt, mir über den Bauch gestre­ichelt. Ein zweit­er Bub oder ein Mädel. Ich atmete tief durch. Wenn das so ein­fach wäre und wie ist es mit der Liebe, bleibt Wern­er bei mir, auch wenn das zweite Kind behin­dert wäre, wenn.

Am näch­sten Tag hat­te mich die Hilde erwis­cht in dem Kreis der Gedanken darüber. Ich sei immer nur abwe­send, meinte sie. Ich erzählte hier von Wern­er seinen Wun­sch. Sie schaute mich mit einem unter­drück­ten Lächeln an und meinte: “Aber wenn ein Mann von dir ein zweites Kind möchte, und ger­ade auch ein Mäd­chen. Ist es nicht der Beweis sein­er Liebe, mehr als nur, ich will weit­er mit dir das Leben ver­brin­gen.” “Klar, Hilde, kann schon sein.” Ich ver­suchte dabei mein Erröten im Gesicht zur Umkehr zu überre­den. Null Chance. “Auch ist es ja nicht wie in den Mafi­akrim­is,” meinte Hilde weit­er, “wo der Pate seine Frau nur schwängert, um einen Nach­wuchs bekom­men.” Nee, ist es wirk­lich nicht und gibt es eigentlich auch einen Pat­en mit einem behin­derten Kind?

Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (b)

Mal durch­hän­gen, sich gehen lassen, die Haare ein­fach nur in ein Kopf­tuch steck­en, der Schwest­er Guten Mor­gen sagen und dann ihr hin­ter­her schauen, wie sie sich nach vorne beugt, in die Schuhe zwängt und die Tür hin­ter sich nach zieht. Sich dann wieder aus­bre­it­en, hin­le­gen, ein­fach das Tick­en der Uhr ausstellen. Geht nicht, ging ein­fach nicht. Fritz braucht seine Aufmerk­samkeit, auch wenn er noch schläft. Stand­by, heißt der Modus, in dem man dann ver­fällt.

Ein ganzes Leben in der Warteschleife, geweckt durch ein grellen Alarm und wenn die Mas­chine die Atmung wieder hat und der Puls wieder seinen Rhyth­mus gefun­den hat, Stand­by. Die meis­ten Elek­trogeräte ver­brin­gen ihre Leben­szeit in der Warteschleife. Auch Nachts, immer. Pfeift zu lange der Alarm, klack­sen Schritte durch den Flur, ich schalte um auf wach. “Mäd­chen, du musst dich schon ein wenig ordentlich … Du kannst nicht ein­fach im Nachthemd vor den frem­den Leuten …” hat­te mir meine Mut­ter erk­lärt. Klar, muss ich, ich bin jet­zt öffentlich, warum nicht gle­ich in ein leeren Laden ziehen, in die City, mit großen Schaufen­ster. Na, so schlimm wird es nun auch wieder nicht sein, meinte Hilde mal, als ich mich bei ihr ausheulte. Ich blieb still, hielt den Gedanke in mir fest und schrieb irgend­wann mal die Frage auf eine alte Zeitung: Ab welch­er Behin­derung ist man eine öffentliche Per­son? Als Wern­er es fand glotzte er mich nur an. Er ver­ste­ht auch nichts. “Geh doch mal aufs Amt.” schnitt ich ihn sein erstes Wort.

Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});

Charlott 2 (a)

.Früh raus und bloß nicht dur­chat­men, jeden Knochen bewe­gen. Es bleibt ein­fach keine Zeit, der Pflege­di­enst wartet und will weg. Denn Tag habe ich alleine zu tra­gen, meinte selb­st die Kasse, ich könne es doch alleine. Andere Eltern passen auch auf ihr Kind auf und das rund um die Uhr. Andere Eltern, ich bin Char­lott und Fritz ist nicht jedes Kind.

Doch das geht nicht in deren Schädel rein, es scheint sich in kein­er Gehirn­win­dung der Stuh­lin­hab­er auf dem Amt einzu­ritzen. Fritz ist nicht wie jedes Kind, er ist tra­cheotomiert, behin­dert. Ja die medi­zinis­che Seite, das kön­nen wir nicht beurteilen, heißt es dann immer als Antwort. Die Rech­nung ist ein­fach ungle­ich. Ein­mal sagte mir mal eine Sach­bear­bei­t­erin: “Ja, wis­sen sie, jedes Kind ist einzi­gar­tig.” Klage ich, wie kön­nte ich. Mich ver­steck­en, ein­wühlen zwis­chen den Deck­en, neben mir mein schlaffes Kind, was noch an der Beat­mung angeschlossen ist. Doch sein Bett ist zu klein. Erstar­rt bin. Kon­nte ich jemals duschen, als ich mit Fritz alleine in der Woh­nung war, nicht mal ins Bad habe ich mich getraut, allein mit Fritz, mit der Angst, jede Minute könne seine Kanüle raus fall­en, in jed­er neuen Minuten kön­nte er brodeln und muss abge­saugt wer­den. Jed­er Hau­tarzt würde sich freuen: Zuviel Wass­er und Seife

Kat­e­gorie: 



var switchTo5x=true;stLight.options({publisher:”});