Frau sitzt traurig auf Treppe.
Frau sitzt traurig auf Treppe.

Charlott, Dienstag — 9. Juni

Ich liege wach, die Decke riecht noch nach Desin­fek­tion und abge­s­tanden­em Tee. Durch die Lamelle fällt ein schar­fes Band Neon­licht, das den Staub in der Luft wie kleine Knochen glitzern lässt. Mein Herz macht kleine, panis­che Geräusche, als hätte es sel­ber einen mech­a­nis­chen Schrittmach­er nötig. Die Frage fällt in mich wie kaltes Wass­er: Hätte ich von mir aus die Ehe erfun­den? Die Worte schmeck­en met­allisch, als hätte ich sie an einem Instru­ment abgeschlif­f­en.

Ich taste nach dem Ehering auf meinem Fin­ger, eine warme Schiene aus Met­all gegen die kalte Haut. Die Fin­ger sind schmal, die Nagel­haut ein­geris­sen. Ich ste­he auf, gehe zum Fen­ster, ziehe die Gar­dine halb zu und set­ze mich an die Eri­ka. Die Tas­ten antworten mit einem trock­e­nen Klack, ich schreibe, weil Schreiben das Einzige ist, das nicht ver­langt, mich zu erk­lären. Draußen piept ein Kranken­wa­gen, weit ent­fer­nt, wie ein Ver­sprechen, das nie gehal­ten wird. Auf dem Nacht­tisch liegt ein zerknit­tertes For­mu­lar von der Krankenkasse; Wern­er hat unter­schrieben, wo sein Name gebraucht wurde. Er macht das, wenn es sein muss. Er ist die Unter­schrift, die die Welt braucht.

Wenn ich ehrlich bin — und ich bin es, bis es weh tut — dann war die Ehe nie eine Idee, die ich wie ein Kleid aus­ge­sucht habe. Sie war ein Instru­ment, eine Ver­pack­ung, die ich mir angelegt habe, damit andere Men­schen leichter glauben, dass bei uns Ord­nung herrscht. Die Ehe löste Prob­leme: wer unter­schreibt bei Behör­den, wer ist Ansprech­part­ner bei Ärzten, wer haftet auf dem Papi­er, wenn das Sys­tem fragt? Wer trägt die Schuld, wenn die Rech­nun­gen nicht bezahlt sind? Wern­er löst prak­tis­che Prob­leme. Er trägt Kisten, macht Tele­fonate, unter­schreibt For­mu­la­re. Er ist eine Ressource, kein Held.

Aber die Ehe hat keine Lücke gestopft, die am meis­ten schmerzt. Sie hat mir nicht die Nacht zurück­gegeben, in der Fritz hus­tend auf dem Arm lag, nicht die Hände, die ihn absaugten. Sie hat meine Mut­ter nicht klein­er gemacht, die immer noch glaubt, sie dürfe mich dirigieren. Sie hat keine Nähe erdacht, die echt ist. Zwis­chen uns liegt ein Abstand wie ein Flur in ein­er Klinik: lang, hell, mit Türen, die zu knallen kön­nen. Manch­mal denke ich, ich habe Wern­er geheiratet, um jeman­den zu haben, der meine Müdigkeit anerken­nt, nicht um sie zu lin­dern. Die Ehe ist ein Schild gegen die Fra­gen der Nach­barin, ein Passier­schein für For­mu­la­re, ein Stück Nor­mal­ität, das man auf­set­zt wie eine Maske.

Würde ich sie erfind­en, wenn ich neu begin­nen kön­nte? Vielle­icht als Mech­a­nis­mus, ja — Paten­tiert, funk­tion­al, ohne roman­tis­che Ansprüche. Aber niemals als Ret­tung. Ich hätte eine Ehe gebaut, die unter­schreibt, organ­isiert, aushält; eine Ehe ohne Hoff­nun­gen auf Heilung, nur mit klaren Auf­gaben: Bürokratie, Kinder­be­treu­ung, Zeu­gen­schutz. So eine Ehe würde nüt­zlich sein. Aber das Herz, das in mir schlägt, das wün­scht etwas anderes: nicht Erfind­un­gen, son­dern echte Zeu­gen. Die Ehe, die ich habe, ist eine Antwort auf Angst. Nicht auf Liebe.

Ich decke die Eri­ka zu, die Tas­ten fühlen sich kalt an. Draußen wird es stiller, nur das ent­fer­nte Sum­men der Geräte bleibt. Ich lege die Hand auf den Ring, spüre das Met­all, und weiß: erfun­den hätte ich die Ehe nicht aus ein­er Idee, son­dern aus der Not. Und das ist kein Geständ­nis. Es ist eine Fest­stel­lung.

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