Einsamkeit in einem dunklen Raum.
Einsamkeit in einem dunklen Raum.

Charlott, Mittwoch — 12. März

// aus dem Notizbuch von Charlott

Fritz ist heute im Roll­stuhl von der Klinik zurück­gekehrt, der Atemgeruch von Chemie und Medika­menten liegt noch in der Luft. Sein klein­er Kopf liegt in der Nähe mein­er Stirn, und ich spüre, wie die Kälte der Pflege­in­fra­struk­tur sog­ar in mein Herz ein­dringt. Ein leis­er Atemzug des Beat­mungs­gerätes hebt seinen Brustko­rb und erin­nert mich daran, wie leicht alles zer­fall­en kön­nte.

Und wenn er ein­mal einen weit­eren epilep­tis­chen Anfall hat, will ich wirk­lich wis­sen, was ich anders machen kön­nte. Vielle­icht würde alles bess­er wer­den, wenn ich mehr wüsste. Doch die Antwort liegt ver­schwun­den, ver­bor­gen in den end­losen For­mu­la­ren der Ver­sicherung, in Arzt­briefen, in der Pflege­doku, die jede mein­er kleinen Sor­gen in ein kaltes Papi­er auf­schreibt, das ich nur noch auswendig lerne.

In diesen Momenten wird mich die Ein­samkeit über­wälti­gen. Kein echter Mann sitzt neben mir, um die Last zu teilen, kein Lächeln, das die Wände erhellt. Ich bin die alleinige Seele, die zwis­chen dem Herz­schlag meines Kindes und dem Echo des Kranken­haus­es ver­weilt. Jedes Wort, das ich flüstere, fühlt sich an, als müsste es laut genug sein, um die Stille zu zer­schnei­den. Ich höre die flüstern­den Blicke der Pas­san­ten, deren Augen plöt­zlich auf das kleine, bewe­gungslose Wesen Frizt gerichtet sind. „Der Arme“, denken sie wohl – aber ich kenne mein Gewis­sen, ich kenne seine Last.

Verzwei­flung läuft in meinen Adern wie ein ständi­ger Regen­schauer. Ich schreibe, weil ich son­st nichts mehr führe: Jed­er Tag ist ein Kampf. Die Briefe, die ich am Rand des Tis­ches ablege – sie liegen in einem Stapel, der sich langsam zu ein­er Mauer formt. Ich füh­le mich zer­mürbt. Wenn Wern­er heute nach Hause käme, hätte ich eine Minute der Dunkel­heit, allein, ein stilles Weinen, das nur mir gehört. Ich füh­le die Welt um mich herum wie einen lan­gen, kalten Spiegel, der nur die Schat­ten wiedergeben kann.

Aber in diesem Chaos um Fritz, mit Fritz, steckt immer die kleine Flamme des Rück­grats – ein kleines, aber treues Feuer­w­erk aus Stolz und Selb­st­be­haup­tung. Ich erin­nere mich an die Schulzeit, an die Worte meines Lehrers, dass ich ein Herz aus Stahl habe; ich schreibe, dass ich die Last trage, weil ich meine einzige Waffe bin. Dieses „Rück­grat“ lässt mich nicht ganz aufgeben, denn ich sehe den Funken eines Tages, an dem Fritz möglicher­weise weniger Beat­mung braucht. Ich kann nicht ver­hin­dern, dass mich die Ver­gan­gen­heit ver­fol­gt, aber ich kann entschei­den, wer ich für die Zukun­ft sein möchte.
Denkste.
Wenn die Nacht kommt, schließe ich die Augen und füh­le die schwindende Wärme des Tages. Ich weiß: Ich bin stark genug, um weit­erzukämpfen, auch wenn der Weg voller Steine ist. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Das ist mein Schwur – ein har­ter, aber notwendi­ger Kuss an mich selb­st.

– Char­lott

Leave a reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *