Charlott — Mittwoch, 4. Juni

a silhouette of a woman in a dark room

Heute Mor­gen bin ich kaum aus dem Bett gekom­men. Ich lag wie fest­ge­tack­ert, mit diesem grauen Gewicht in der Brust, das mich langsam auf­frisst. Es ist nicht nur Müdigkeit. Es ist diese tiefe, hohle Erschöp­fung, die mir sagt, dass es völ­lig egal ist, ob ich auf­ste­he oder nicht. Aber Fritz braucht mich. Er röchelt schon, wenn ich noch nicht mal meinen ersten Kaf­fee hat­te, und dann fängt der Tag an wie ein Sturz in eiskaltes Wass­er. Ich funk­tion­iere. Ich bin nur noch Funk­tion.

Ich hab ihm den Inhala­tor fest­ge­hal­ten, obwohl meine Hände gezit­tert haben. Ich weiß nicht, ob ich wirk­lich da war oder ob ich mich nur bewegt habe, weil ich weiß, wie’s geht. Ich hab wieder vergessen, mich selb­st zu waschen. Dabei stinkt mein Shirt schon nach drei Tagen, aber es ist mir egal. Ich schäm mich dafür, aber ich kann’s nicht ändern. Ich bin ein­fach leer.

Zwis­chen­drin saß ich auf dem Sofa, Fritz hat­te seinen Kramp­fan­fall ger­ade über­standen, und ich habe gedacht, vielle­icht hab ich Schuld. Vielle­icht bin ich der Fehler. Vielle­icht hat er mich deswe­gen als Mut­ter gekriegt, weil irgend­was schiefge­laufen ist im Sys­tem. Ich hab geträumt, ich hätte früher abgetrieben. In dem Traum hab ich geschrien, geweint, alles durch­lebt – und gle­ichzeit­ig hab ich’s ver­standen. Ich hab mich selb­st angeklagt und verurteilt, im Schlaf. Wie kann man sowas über­haupt träu­men? Ich hab mich noch nie jeman­dem erzählt. Aber du, Buch, du verzeihst mir vielle­icht.

Dann kam dieser Moment – ich sah Fritz an, wie er sich beruhigte, wie sein klein­er Kör­p­er zit­ternd in den Kissen lag, und ich spürte plöt­zlich so eine Sehn­sucht. Nach Berührung. Nach einem Leben, das nicht nur aus Medika­menten, For­mu­la­ren und Angst beste­ht. Ich weiß nicht mal, wonach genau ich mich sehne. Vielle­icht ein­fach nach einem Arm, der mich hält, ohne was zu wollen. Nach ein­er Stimme, die mir sagt, dass ich noch existiere, jen­seits der Pflege, jen­seits der Pflicht. Vielle­icht nach mir selb­st, wie ich früher war, als ich noch lachen kon­nte, ohne gle­ich zu denken, ich darf das nicht.

Ich weiß nicht, ob ich mir das je wieder­holen kann. Aber irgend­was in mir will es noch. Irgend­was lebt noch. Und das macht mir genau­so Angst, wie es mir Hoff­nung gibt.

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