Charlott 2 (b)

Mal durch­hän­gen, sich gehen lassen, die Haare ein­fach nur in ein Kopf­tuch steck­en, der Schwest­er Guten Mor­gen sagen und dann ihr hin­ter­her schauen, wie sie sich nach vorne beugt, in die Schuhe zwängt und die Tür hin­ter sich nach zieht. Sich dann wieder aus­bre­it­en, hin­le­gen, ein­fach das Tick­en der Uhr ausstellen. Geht nicht, ging ein­fach nicht. Fritz braucht seine Aufmerk­samkeit, auch wenn er noch schläft. Stand­by, heißt der Modus, in dem man dann ver­fällt.

Ein ganzes Leben in der Warteschleife, geweckt durch ein grellen Alarm und wenn die Mas­chine die Atmung wieder hat und der Puls wieder seinen Rhyth­mus gefun­den hat, Stand­by. Die meis­ten Elek­trogeräte ver­brin­gen ihre Leben­szeit in der Warteschleife. Auch Nachts, immer. Pfeift zu lange der Alarm, klack­sen Schritte durch den Flur, ich schalte um auf wach. “Mäd­chen, du musst dich schon ein wenig ordentlich … Du kannst nicht ein­fach im Nachthemd vor den frem­den Leuten …” hat­te mir meine Mut­ter erk­lärt. Klar, muss ich, ich bin jet­zt öffentlich, warum nicht gle­ich in ein leeren Laden ziehen, in die City, mit großen Schaufen­ster. Na, so schlimm wird es nun auch wieder nicht sein, meinte Hilde mal, als ich mich bei ihr ausheulte. Ich blieb still, hielt den Gedanke in mir fest und schrieb irgend­wann mal die Frage auf eine alte Zeitung: Ab welch­er Behin­derung ist man eine öffentliche Per­son? Als Wern­er es fand glotzte er mich nur an. Er ver­ste­ht auch nichts. “Geh doch mal aufs Amt.” schnitt ich ihn sein erstes Wort.

Kat­e­gorie: 



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Charlott 2 (a)

.Früh raus und bloß nicht dur­chat­men, jeden Knochen bewe­gen. Es bleibt ein­fach keine Zeit, der Pflege­di­enst wartet und will weg. Denn Tag habe ich alleine zu tra­gen, meinte selb­st die Kasse, ich könne es doch alleine. Andere Eltern passen auch auf ihr Kind auf und das rund um die Uhr. Andere Eltern, ich bin Char­lott und Fritz ist nicht jedes Kind.

Doch das geht nicht in deren Schädel rein, es scheint sich in kein­er Gehirn­win­dung der Stuh­lin­hab­er auf dem Amt einzu­ritzen. Fritz ist nicht wie jedes Kind, er ist tra­cheotomiert, behin­dert. Ja die medi­zinis­che Seite, das kön­nen wir nicht beurteilen, heißt es dann immer als Antwort. Die Rech­nung ist ein­fach ungle­ich. Ein­mal sagte mir mal eine Sach­bear­bei­t­erin: “Ja, wis­sen sie, jedes Kind ist einzi­gar­tig.” Klage ich, wie kön­nte ich. Mich ver­steck­en, ein­wühlen zwis­chen den Deck­en, neben mir mein schlaffes Kind, was noch an der Beat­mung angeschlossen ist. Doch sein Bett ist zu klein. Erstar­rt bin. Kon­nte ich jemals duschen, als ich mit Fritz alleine in der Woh­nung war, nicht mal ins Bad habe ich mich getraut, allein mit Fritz, mit der Angst, jede Minute könne seine Kanüle raus fall­en, in jed­er neuen Minuten kön­nte er brodeln und muss abge­saugt wer­den. Jed­er Hau­tarzt würde sich freuen: Zuviel Wass­er und Seife

Kat­e­gorie: 



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Charlott 1 (i)

Es bleibt ein­fach nicht viel hän­gen, außer der Blick zurück und der Blick auf eine Träne, eine einzelne. T’schuldigung, wenn ich ger­ade ein wenig mies drauf bin, doch ich kann es ein­fach nicht in mir lassen. Gestern vor dem Fernse­her ging es los, ich musste an Fritz, an die Schwanger­schaft, an die Zeit davor denken.

Davor, alles war unkom­pliziert, zwanzig Zigaret­ten wan­derten pro Tag durch meine Hände, drei Glas Wein. Mehr durfte ich nie, mehr sollte ich nie, meinte Wern­er. Er und seine Angst wenn ich ange­heit­ert nach hause kam und mein Lärm die Nach­barschaft aufweckt. Was soll diese Angst, diese Nach­barschaft. Star­ren auf Fritz ohne ein Wort, ohne eine Frage, ohne eine Nähe. Fritz, bitte gib mir deine Hand und halte mich fest, halte die Träne in mir.
Doch der Bub ist in solchen Din­gen total pas­siv. Wie auch, wie soll er meine Hand hal­ten, wenn er nicht mal ver­ste­ht seine Hände selb­st zu dirigieren. Nichts da und keine Hoff­nung auf Entwick­lung, auf einen Schritt nach vorne, ins nor­mal.
Hat­ten sie auch anderes außer Alko­hol zu sich genom­men, fragte mich let­ztens mein Ther­a­peut. Ob ich? Muss ich auf solche Fra­gen antworten? Ich verneinte, wie ein Davor, ein vor dem Fritz, vor der Geburt in dieser Stunde. Es klingt wie die Frage, ob ich jemals glück­lich war. War ich es?
Du schaust trau­rig aus, Mäd­chen, sagte meine Mut­ter immer wenn ich aus der Schule kam und ich überse­hen wurde von dem Jun­gen, denn ich abends im Bett in meine Träume ein­lud, wo ich mich an ihn schmiegte und einen Kuss auf seine Ober­arme gab. Der Traum zer­sprang am Ende des Unter­richts.

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Charlott 1 (h)

Die Augen schließen, ein­fach nur die Augen schließen und dieses ganze… Ich kann nicht zurück schauen, in das Zurück vor zwei Jahren, wo Fritz auf der Inten­sivs­ta­tion lag. Der kleine Mann und über­all an seinen Kör­p­er hin­gen Schläuche, an seinen Arm, der Hand, dann in die Nase. Fritz. Aufge­qollen, über­all in der Haut zog sich das Wass­er hinein, dehnt ihn auf zu einem Kind mit Fettsucht. Aber es ist nur Wass­er, welch­es er nicht mehr los liess. Die Tech­nik, an den sein Leben hing, alarmierte, die Schwest­er kamen ger­an­nt, schoben mich bei­seite, so wie ich meine Träne ein­fach bei­seite schieben wollte.

“Kom­men sie klar damit?” oder “Brauchen Sie Hil­fe?” fol­gte den Gesprächen hin­ter­her. Ich brauchte Ruhe, ein­fach Ruhe, Zeit und eine Zigarette. Gebt mir eine Zigarette. Über­all in der Klinik herrschte Rauchver­bot und doch Fritz, ich kon­nte ihn nicht alleine lassen. Der Hunger nach dem Nikotin ver­zog sich. Dann, nach Tagen Fieber, dem x‑ten Wech­sel der Antibi­oti­ka, die Frage nach den Wohin, wohin soll seine Reise gehen? Ins Grab, doch dafür, dafür waren wir nicht bere­it. Wern­er hat­te sich frei genom­men von der Arbeit und verneinte diese Antwort wie ich. Nicht Fritz, bitte noch nicht. Wir unter­schrieben den näch­sten Fahrplan, alles soll getan wer­den.

Am näch­sten Mor­gen war er aus seinen Zim­mer ver­schwun­den, in den OP. “Ihr Sohn bekommt ger­ade einen Luftröhren­schnitt.” erk­lärte ein Kit­tel­träger, “seine Nase fing plöt­zlich stark zu bluten an. Glauben sie mir, es war die einzige Entschei­dung.”

Die einzige Entschei­dung, für was, für sein Leben? Ich wollte ihn Wern­er seine Arme, doch Wern­er war erstar­rt. Luftröhren­schnitt. Später, später kam dann her­aus, es war die einzige Entschei­dung. “Sein Kehlkopf war so stark geschwollen, dass er nicht weit­er über den Mund beat­met wer­den kon­nte. Eine Tra­cheotomie war lei­der unauswe­ich­lich gewor­den, son­st wäre er gestor­ben.”

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Charlott 1 (g)

er ganze Mief drückt sich hoch, nicht der der Ämter, es ist der innere Mief und dann zwis­chen den Bildern vom Fritz Wern­er. Sein Lächeln, sein knack­iger Arsch, als er noch jung war, ich ihn anlächelte und er kaum seine Lip­pen auseinan­der brachte. Warum auch, dachte ich, warum soll ich einen Kerl ken­nen ler­nen, der nett ist und auf mich zu geht. Bei der Hilde war es anders, zu ihr kamen die Jungs und ließen sich auf ihren bre­it­en Schoß nieder. Doch bei mir. “Du bist zu dünn, Mädel. Da hat doch jed­er ordentliche Kerl Angst mit ein­er fes­ten Umar­mung dir die Knochen zu brechen.” schoss mich mich meine Mut­ter an, wenn ich wieder mit der Liebe und dem geliebt wer­den kämpfte. Wer­den mich jemals männliche Arme umfassen? Wern­er blieb damals von ein­er Par­ty über, wie auch die Erin­nerung an die Kopf­schmerzen am mor­gen nach dieser, als hätte ich mehr als nur Alko­hol genossen.

Mit dem zu dünn, dass hat sich endgültig gelegt. Jet­zt, wenn mich meine Mut­ter besucht, bekomme ich eher das Gegen­teil zu hören. Deine Fig­ur ist über den nor­malen Ver­hält­nis­sen. Welchen Ver­hält­nis­sen? Etwa die der Frauen­magazine, die eine Diät nach der näch­sten präsen­tieren und zwis­chen­durch Strick­muster für das abendliche Fernseh­pro­gramm. Mut­ter ver­giss es, ich möchte von dieser Diskus­sion nichts hören. Wenn es Wern­er gefällt, wenn er immer noch seine Hände über meinen Po stre­icht, dann gibt es keine Kor­rek­tur.

Ach Wern­er. Let­ztens kam mein Psy­chodoc wieder ins Gespräch über, ob ich mich noch geliebt füh­le. Geliebt, von Wern­er, außer von Wern­er. Vom Fritz, mein Bub. Liebe, Zunei­gung, ken­nt dies der Fritz? Manch­mal, wenn ich mit ihm rede, er dann seinen Kopf zu mir dreht, dann denke ich, jo, na klar, der Fritz, der ver­ste­ht mich, meine Welt. Er ist meine Welt und ich glaube, er ver­misst mich.

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Charlott 1 (f)

Kannste echt in den Skat drück­en. Eigentlich ein Satz von meinem Groß­vater, aber seit­dem Fritz geboren ist, ist der Satz auch nicht mehr aus mein­er Welt wegzu­denken. Ein­mal sind es die Leute in der Krankenkasse und dann der ganze Mief auf dem Amt. Tschuldigung, falls das Wort Mief nicht ganz passt, aber es lässt sich kaum anders sagen. Da entschei­den Men­schen über Fritz, was er braucht, was nicht, ohne ihn ein­mal gese­hen zu haben, ohne über­haupt ver­standen zu haben: Was hat denn der Bub?

Was hat er denn? Ja, was. Die Medi­zin­er wis­sen es nicht, bis auf die Diag­nose Epilep­sie und seine Behin­derung tun sie ab mit: “glob­aler Entwick­lungstörung”. Vor ein paar Tagen fragte mich eine Frau danach. Ich zuck­te mit den Schul­tern und sagte: “schwere Behin­derung.”
Ich hätte nie geglaubt, so häu­fig dieses Wort “Behin­derung” gebrauchen zu müssen. Hätte ich nie. In der Jugend nicht, dort war das häu­fig­ste wohl: “Haste mal ne Kippe?” oder später, als die Par­tys gesit­teter wur­den, hieß es: “Haste mal ne Zigarette?” oder Papers, Tabak. Heute fragt mich kein­er mehr danach und ich selb­st, ich vergesse den Dun­st ein­fach. Nur dann nicht, wenn ich aus diesen elendi­gen Sitzun­gen komme, die mein Leben bre­it treten. Da zieht sich meine Lunge zusam­men und es dürstet mich nach dieser Schwere im Kopf, dem knis­tern­den Papi­er um dem Tabak.

Charlott 1 (e)

Fieber und bitte keine Rede von, jet­zt geht doch endlich mal in die Klinik. Der Kinder­arzt war da und star­rte auf den Jun­gen als wollte er sagen: dass der noch lebt. Ich frage mich jedes mal bei sein­er Anwe­sen­heit, ob ich gehen soll, damit er endlich sein Stethoskop aus­packt, doch wenn ich mich dann der Tür zu bewege oder meine Stimm­bän­der aus­packe für das erste Wort, greift er zu sein­er Tasche und holt die Uten­silien raus. Fieber, Lunge frei, Bauch ist entspan­nt und, die Aufzäh­lung endete. Er pack­te seine Werkzeuge ein, redete von Kul­turen mit Bak­te­rien, wenn mor­gen sich die Tem­per­atur nicht unter 38 absenkt wäre ein Antibi­otikum empfehlenswert.  

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Charlott 1 (d)

“Schau mal, zu der Zeit, wo alles begann und ver­giss …” Ich legte den Hör­er auf. Ich lass mich doch hier nicht bequatschen, was gut war, was nicht und dies von mein­er Mut­ter. Was habe ich, wir alles erre­icht, bewältigt und da müsse es mir doch gut gehen. Nee, nicht mit mir. Es läuft ger­ade nicht toll, milde gesagt, und da hil­ft auch nicht, wenn ich es schön male mit dem, was gewe­sen ist. 

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Charlott 1 ©

Unzufrieden­heit, manche mein­er Nach­barn geben mir immer wieder zu ver­ste­hen, ich sei doch unzufrieden. Die blühende Unzufrieden­heit. Ich fragte meine Mut­ter, was sie meint. Sie zün­dete sich eine Zigarette an, blick­te auf mich und ging nach fünf Minuten fort. Abends rief sie mich dann an und meinte: “Ich sehe das ein wenig anders, doch könne ich dir nicht bescheini­gen, dass du zufrieden bist.  

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Charlott 1 (b)

Viele meinen, man sollte immer in Bewe­gung bleiben. Ich geb mir mühe, doch würde ich gern mal ne Pause machen. Das Kind, Kind sein lassen und ihn nicht immer als den kleinen Patien­ten sehen. Die Hälfte, wenn er doch nur zur hälfte Kind sein kön­nte, aber is nicht, is ein­fach nicht. Die Ärzte schauen ihn an und erzählen mir was an ihm nicht nor­mal, was krank ist. Als let­ztens ein Doc in der Klinik anf­ing, mir erneut die Liste von anor­mal bis hin zu untyp­isch abzus­pulen, meinte ich nur, ob wir jet­zt mit der Menge Punk­ten von unnor­mal im High­score aller Kinder hier sind. Er star­rte mich nur an und schloss seine Unter­suchung ohne Worte ab.  

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