Charlott 2 ®

Wie sie sich fühlen sollen, wenn ihrem Kind eine Ther­a­pie abgelehnt wird. Ich füh­le gar nichts, ehrlich. Man wird Stumpf, ganz klar. Der Ärg­er, ab einen Punkt lohnt es nicht mehr. Man fragt auch nicht mehr, was der ganze Wahnsinn soll. Ein Typ in der Straßen­bahn vor Jahren, der hat­te was von Kaiser Augus­tus gere­det, als der auf dem Toten­bett lag, soll er gesagt haben: Endlich hat die Komödie ein Ende. Manch­mal wenn es mit der Krankenkasse nur noch schief läuft, die Ärzte zu den Ideen nein sagen oder ein Sach­ber­ar­beit­er mir was erzählen von geht nicht, sie haben keinen Anspruch und das Gesetz, dann stößt dieser Satz nur in mir auf. Die Komödie, ich fragte nie nach, was dies Wort in der Tiefe bedeutet. Ich sah nur manch­mal Hilde vor meinen Augen und dann meine Mut­ter. Alles nur ein Witz. Ich will abhauen. Ob ich Fritz mit­nehmen würde? Sicher­lich, aber ich weiß es nicht, auch nicht wieso. Die Hilde würde meine Flucht nicht ver­ste­hen, sie würde flen­nen, sie würde ein Taschen­tuch brauchen, eins, nein, ein ganzes Lak­en und ich würde daneben sitzen wie ein bürg­er­lich­es Mäd­chen aus dem 18 Jahrhun­dert, die sich in einem Her­rn in den falschen Stand ver­liebt hat, ihn getrof­fen hat und nun wartet, wann er ihr den Heirat­santrag macht. Dabei weiß sie ganz genau, er wird es nicht tun. Er wird es. Eine weinende Fre­undin am Rockzipfel. Das ist die Hilde nicht, nee, da ist meine Mut­ter schon näher dran. Sie ist zwar nicht meine Fre­undin, aber wenn sie es wäre.

Charlott 2 (q)

Let­ztens stand ich vor dem Spiegel und wollte wis­sen, ob man sie zählen kann, die Fal­ten. Sie wer­den mehr, so hat­te es mir die Hilde erk­lärt. “Wie mehr?” fragte ich sie. Sie schaute mich nur an und ich wusste, was sie mir sagen wollte. Doch ich legte meinen Fin­ger auf ihren Mund. Die Wahrheit, die brauch ich nicht, diese. Denn davon habe ich schon genug, dachte ich nur. Ich löste den Fin­ger wieder von Hildes Lip­pen. Ihre Augen waren größer als son­st. Ich will es gar nicht wis­sen, Hilde, ich will nicht, meinte ich. Doch sie schrie: “Was denn? Dass du leb­st wie in ein­er Gefan­gen­schaft, ist es das.” Sie krallte sich ihren Man­tel und ging. Gefan­gen­schaft. Es war mein Zuhause, auch wenn ich mit Fritz nicht raus kam, wenn ich immer an ihn gebun­den bin. Gefan­gen­schaft ist anders. Das ist die Klinik, wenn ich weit weg bin von Fritz, von Wern­er und es in mir drückt, ich müsse fort, ich muss zu ihnen.
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Charlott 2 ℗

An manchen Tagen, wenn es mir mit Fritz zu viel wurde, die Schwest­ern vom Pflege­di­enst auch nur mein Dasein als ihre eigene Ent­las­tung sahen, stieß ich schnell an die Frage, ob ich nun ein­fach gehen oder die Luft anhal­ten solle. Doch diesen Gedanke zer­schnitt ich sofort mit dem “Es geht nicht.”. Ich kochte mir einen Kaf­fee und set­zte mich neben der Schwest­er, egal ob diese Frau was sagt oder nicht, egal, Haupt­sache Fritz war entspan­nt und ruhig. Schnell ver­sucht­en dann die Gedanken Anschluss zu find­en an die Frage, ob ich die Haustür öffne und gehe oder ob es mich nicht mal aus dem Leben, aus dem All­t­ag wer­fen kön­nte, ein­fach so. Read more

Charlott 2 (o)

Fernse­her. Über­all gibt es diese Kisten, selb­st in der Klinik. Doch komme ich ein­fach nicht mehr ins Pro­gramm rein. Entwed­er, ich denke bei jed­er kleinen Serie, es ist mir zu lang­weilig oder ich habe Angst vor ein drama­tis­ches Ende. Die Sto­ry ein­fach als eine erfun­dene Geschichte zu betra­cht­en, daran scheit­ere ich. Es ist für mich zu real, die Gefüh­le, welche im Appa­rat aufge­bauscht wer­den, die sind mehr ein­fach zu heftig. Und Kri­mi, denn kann ich gle­ich vergessen.
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Charlott 2 (g)

Sie brauchen sich gar nicht so darin rein­hän­gen. Es bringt eh nichts, hat­te mir die Frau am Tele­fon gesagt. Beratung nen­nt sich das, Beratung für das behin­derte Kind. Ich glaub, da hätte ich mir die Mühe sparen sollen. Suchst dir die Num­mern zusam­men, ruf­st einen Vere­in an den näch­sten an und willst es wis­sen, ob das wirk­lich mit dem Ausweis richtig ist: Fritz ist nur noch achtzig Prozent schw­er behin­dert, als ich dies las, da machte es nur klack im Kopf, die Frage tickt sich durch den Schädel, der Kom­men­tar: Geht’s noch? Read more

Charlott 1 (e)

Fieber und bitte keine Rede von, jet­zt geht doch endlich mal in die Klinik. Der Kinder­arzt war da und star­rte auf den Jun­gen als wollte er sagen: dass der noch lebt. Ich frage mich jedes mal bei sein­er Anwe­sen­heit, ob ich gehen soll, damit er endlich sein Stethoskop aus­packt, doch wenn ich mich dann der Tür zu bewege oder meine Stimm­bän­der aus­packe für das erste Wort, greift er zu sein­er Tasche und holt die Uten­silien raus. Fieber, Lunge frei, Bauch ist entspan­nt und, die Aufzäh­lung endete. Er pack­te seine Werkzeuge ein, redete von Kul­turen mit Bak­te­rien, wenn mor­gen sich die Tem­per­atur nicht unter 38 absenkt wäre ein Antibi­otikum empfehlenswert.  

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Charlott 1 (d)

“Schau mal, zu der Zeit, wo alles begann und ver­giss …” Ich legte den Hör­er auf. Ich lass mich doch hier nicht bequatschen, was gut war, was nicht und dies von mein­er Mut­ter. Was habe ich, wir alles erre­icht, bewältigt und da müsse es mir doch gut gehen. Nee, nicht mit mir. Es läuft ger­ade nicht toll, milde gesagt, und da hil­ft auch nicht, wenn ich es schön male mit dem, was gewe­sen ist. 

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Charlott 1 ©

Unzufrieden­heit, manche mein­er Nach­barn geben mir immer wieder zu ver­ste­hen, ich sei doch unzufrieden. Die blühende Unzufrieden­heit. Ich fragte meine Mut­ter, was sie meint. Sie zün­dete sich eine Zigarette an, blick­te auf mich und ging nach fünf Minuten fort. Abends rief sie mich dann an und meinte: “Ich sehe das ein wenig anders, doch könne ich dir nicht bescheini­gen, dass du zufrieden bist.  

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Charlott 1 (b)

Viele meinen, man sollte immer in Bewe­gung bleiben. Ich geb mir mühe, doch würde ich gern mal ne Pause machen. Das Kind, Kind sein lassen und ihn nicht immer als den kleinen Patien­ten sehen. Die Hälfte, wenn er doch nur zur hälfte Kind sein kön­nte, aber is nicht, is ein­fach nicht. Die Ärzte schauen ihn an und erzählen mir was an ihm nicht nor­mal, was krank ist. Als let­ztens ein Doc in der Klinik anf­ing, mir erneut die Liste von anor­mal bis hin zu untyp­isch abzus­pulen, meinte ich nur, ob wir jet­zt mit der Menge Punk­ten von unnor­mal im High­score aller Kinder hier sind. Er star­rte mich nur an und schloss seine Unter­suchung ohne Worte ab.  

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Charlott 1 (a)

Ich bin die Char­lott und einige Leute meinen, ich hätte nichts zu sagen. Ich solls mal lassen, den Tag durch die Schreib­mas­chine zu quälen. Hab ich nicht vor, ent­geg­nete ich let­ztens und da blieben von denen die Mün­der offen ste­hen. Ich glaub, die kön­nens ein­fach nicht ab. Ich fühl mich gut, trotz mein­er Sto­ry. Ich fühl mich gut, na mein Psy­chodoc sieht das ein wenig anders, aber die Leute ken­nen halt auch keine Details.  

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